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Erklärung des Präsidenten der Humboldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr. Jürgen Mlynek am 28.5.2002 zur Übergabe einer Fassung des "Generalplan-Ost" an den Reichsführer SS Himmler vor 60 Jahren

nszeit1.jpgDie Humboldt-Universität ist eine Universität mit Geschichte. Dieser Geschichte verdankt die Universität einen großen Teil ihres guten Namens, den sie heute überall in der Welt trägt.

Die Geschichte der Universität führt jedoch auch durch dunkle Kapitel, und die Beschäftigung mit diesen ist nicht selten schmerzhaft.

Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Berliner Universität in der Zeit des Nationalsozialismus gehört zu den schwierigsten Aufgaben. Dennoch ist es unverzichtbar, dass wir uns dieser Auseinandersetzung stellen und den Geschehnissen dieser Zeit ins Auge sehen.

Zahlreiche Lehrende, Studierende und andere Mitarbeiter der Universität haben in den Jahren von 1933 bis 45 unter dem Regime zu leiden gehabt: sie waren Repressalien ausgesetzt, wurden ihrer akademischen Grade und Verdienste beraubt, mussten die Universität, häufig auch das Land verlassen oder verloren ihre Existenzgrundlage. Die große Mehrheit aber hatte sich mit dem Regime arrangiert und dadurch vielfach das Leid ihrer Kollegen mitverursacht. Manche aber setzten sich mit ihrer Arbeit auch an die Spitze der Bewegung und wurden zu aktiven Schmieden für die wahnwitzigen Weltherrschafts-Pläne der NS-Regierung.

Prof. Dr. Konrad Meyer war nur einer von diesen. Als er vor 60 Jahren das unter seiner Ägide entstandene Planwerk an den Reichsführer SS Heinrich Himmler überreichte, das wir heute den "Generalplan Ost" nennen, tat er das in seiner Funktion als Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Berliner Universität.

Der Verlauf des Krieges und letztlich der Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus verhinderten, dass die menschenverachtenden Pläne, die in diesem Werk formuliert sind, in die Tat umgesetzt werden konnten. Über den Holocaust hinaus zielten sie auf einen weiteren millionenfachen Völkermord in den besetzten Ostgebieten ab. Die ersten Umsetzungen in Polen nahmen mit Vertreibung und Mord unzähliger Menschen bereits katastrophale Formen an. Aus der Geschichte wissen wir, dass die NS-Regierung auch zur vollen Umsetzung auch dieser Pläne imstande gewesen wäre.

Die Verantwortung dafür ist uns ohne unser Zutun erspart geblieben.

Wenn ich an dieser Stelle "uns" sage, dann meine ich damit die ganze Humboldt-Universität als Nachfolgerin der Friedrich-Wilhelms-Universität.

Ein Verbrechen wie dieses ist aber keinesfalls nur einer einzelnen Person anzulasten. Auch nicht einer einzelnen Fakultät. Konrad Meyer benötigte den Rückhalt der ganzen Universität, um seine Aufgabe zu erfüllen.

Ich unterstütze sehr die Initiative der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät, sich mit diesem Unrecht auseinander zu setzen und ich begrüße die Erklärung des Fakultätsrates, die Dekan Nagel vor wenigen Minuten verlesen hat.

Gleichzeitig bekenne ich mich in meiner Funktion als Präsident der Humboldt-Universität zu der gesamtuniversitären Verantwortung, die wir beim Generalplan Ost zu tragen haben.

Wir können sie heute nicht mehr sühnen, aber wir können uns ihrer bewusst werden und nicht aufhören, uns mit dem Thema zu beschäftigen und nach Wegen der Aufarbeitung zu suchen. Ein erster Schritt auf diesem Weg ist eine Arbeitsgruppe, die sich auf Initiative der Studierenden und auf Beschluss des Akademischen Senates mit den Verstrickungen der Berliner Universität in die NS-Vernichtungspolitik beschäftigt. Sie bettet sich ein in andere Forschungs- und Ausstellungsprojekte.

Vor allem aber müssen wir uns unserer heutigen Verpflichtung bewusst sein:

Das kürzlich verabschiedete Leitbild der Humboldt-Universität bringt dies zum Ausdruck, wenn es daran erinnert, dass "Der Bezug der Humboldt-Universität auf ihre Tradition [...] auch im Bewusstsein ihrer schuldhaften Verstrickungen in die Politik (erfolgt). [...] Vor diesem Hintergrund versteht sich die Humboldt-Universität seit Beginn ihrer Selbsterneuerung im Jahre 1989 als eine Institution, die sich für kritische Distanz gegenüber politischer und gesellschaftlicher Macht entschieden hat. Sie wendet sich gegen jede Form von Diskriminierung, Intoleranz und kultureller Selbstüberhöhung."