Studentisches Forschungsprojekt Berlin-Minsk. Unvergessene Lebensgeschichten.
Seit über drei Jahren beschäftigen sich an der Humboldt Universität Berlin Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen mit der Erforschung von Biographien einstiger Berliner Jüdinnen und Juden, die im November 1941 in das Ghetto von Minsk verschleppt wurden. Im Frühjahr 2010 ging als erstes Ergebnis aus dieser selbst organisierten Forschungsarbeit eine kleine Wanderausstellung „Berlin-Minsk. Unvergessene Lebensgeschichten“ hervor. Der Projektgruppe war und ist es wichtig, den Fokus auf die Lebensgeschichten der Menschen zu legen, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. So stellt die Ausstellung auf acht Tafeln sechs Biographien von Berliner Jüdinnen und Juden sowie zwei belarussische Lebensgeschichten vor. Nachdem die Ausstellung bereits im Centrum Judaicum und an der Humboldt Universität gezeigt wurde, gelang es 2012, die Ausstellung auch in russischer Sprache auszuführen und in Minsk zu zeigen. Hintergrund dieser Überlegung war es, die Forschungsergebnisse nicht nur der Berliner, sondern auch der Minsker Öffentlichkeit zugänglich zu machen und damit einen Beitrag zur deutsch-belarussischen Geschichtsaufarbeitung zu leisten. In Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt in Minsk sowie dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Minsk konnte die Ausstellung vor Ort umgesetzt werden.
Die Geschichtswerkstatt befindet sich in dem letzten noch bestehenden Haus auf dem ehemaligen Ghettogelände. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchen, die Erinnerung an das jüdische Leiden an diesem Ort wach zu halten, und bearbeiten auf der Grundlage pädagogischer Konzepte das Thema mit jungen Menschen. Unsere Ausstellung soll nun Teil dieser pädagogischen Arbeit in Minsk und Umgebung sein. Gemeinsam mit dem Leiter der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kosak, und der Referentin Antanina Chumakova soll die Zusammenarbeit über dieses Projekt hinaus weiter bestehen und die Wanderausstellung an belarussischen Schulen und in anderen Einrichtungen gezeigt werden. Zur Unterstützung dieser historisch-politischen Bildungsarbeit soll 2013 gemeinsam ein pädagogisches Konzept entwickelt werden.
Im Rahmen einer Konferenz zum Thema „Die vergessenen Opfer – Die Geschichte des Verdrängens und Vergessens in der Nachkriegszeit in Ost und West“, die Anfang November 2012 in Minsk stattfand, wurde die biographische Ausstellung in der Minsker Geschichtswerkstatt eröffnet. Anja Reuss, eine der Leiterinnen des studentischen Projektes, eröffnete zusammen mit dem Leiter des IBB, Matthias Tümpel, sowie den beiden Überlebenden Sima Margolina und Maja Karpina die Ausstellung. Die Biographien der beiden Frauen werden auf zwei Ausstellungstafeln vorgestellt. Ihnen bedeutete die Eröffnung einer solchen Ausstellung in Minsk sehr viel, ist doch die Thematisierung jüdischen Leids in der belarussischen Öffentlichkeit auch heute noch eher randständig
Neben zahlreichen Konferenzteilnehmern aus dem In- und Ausland, einer beträchtlichen Zahl interessierter Studierender sowie Schülerinnen und Schülern waren vor allem Überlebende und Angehörige belarussischer Opferverbände zu der Eröffnung gekommen.
Zudem wurde – angelehnt an die Wanderausstellung – eine Webseite erarbeitet, die wie eine Art virtuelle und interaktive Ausstellung funktioniert. Auf einem navigierbaren Stadtplan von Berlin markieren Punkte die ehemaligen Wohnorte der nach Minsk deportierten Berliner Jüdinnen und Juden. Sie stellen virtuelle Stolpersteine dar. Hinter einigen dieser Punkte verbergen sich Gedenkblätter, auf denen Biographisches zu den betreffenden Personen oder Familien nachzulesen ist.
Die Webseite ist unter der Adresse www.berlin-minsk.de zu finden.
Im zurückliegenden Jahr hat sich die studentische Projektgruppe unter Leitung von Kristin Schneider und Anja Reuss weiter intensiv mit der Biographierecherche beschäftigt. Die Forschungsergebnisse, die daraus resultierten, werden im Frühjahr 2013 in Form eines Gedenkbuches beim Metropol Verlag erscheinen.
Einen WDR-Radiobeitrag von Rainer Kramitz über die Konferenz und die Ausstellungseröffnung ist nachzuhören unter:
Bilder:
Ausstellungstafeln in der Geschichtswerkstatt Minsk
Ausstellungseröffnung in der Geschichtswerkstatt
Schüler_innen und Student_innen aus Minsk und Umgebung mit Vertretern des IBB und Ghetto-Überlebende Sima Margolina (mit blaue Bluse in der Mitte)