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Erklärung des Fakultätsrates der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin am 28.5.2002 zur Übergabe einer Fassung des "Generalplan-Ost" an den Reichsführer SS Himmler vor 60 Jahren (Auf Beschluss des Fakultätsrates vom

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Im Herbst 1939 ernannte Reichsführer SS Heinrich Himmler seinen Gefolgsmann Professor Konrad Meyer, Mitglied der SS und Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Berliner Universität zum Leiter der Planungshauptabteilung des der Reichsführung SS unterstehenden Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums. Unter maßgeblicher Regie Konrad Meyers und aktiver Mitarbeit weiterer Wissenschaftler der landwirtschaftlichen Fakultät entstand in den folgenden Jahren der sogenannte Generalplan-Ost. Mit Datum vom 28. Mai 1942 übersandte das Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik eine 64-seitige Fassung zum Generalplan-Ost an den Reichsführer SS. Dieses Schriftstück, das den zynisch-verharmlosenden Untertitel "Rechtliche, wirtschaftliche und räumliche Grundlagen des Ostaufbaus" trug, stimmte im Wesentlichen mit weiteren Entwürfen des Generalplan-Ost überein. Ziel aller dieser Versionen war die Neuordnung und Germanisierung der eroberten europäischen Gebiete durch Zwangsvertreibung und Umsiedlung von vielen Millionen Menschen.

Fast die Gesamtheit der polnischen Bevölkerung galten nach dem Generalplan-Ost gemäß der nationalsozialistischen Rassentheorie als minderwertig und nicht eindeutschungsfähig. Für Tschechen, Slowenen und Franzosen belief sich der entsprechende Anteil auf 50 Prozent. Es sollten zwischen 25 und 50 Millionen Personen zur Zwangsarbeit eingesetzt bzw. in unfruchtbare Landschaften deportiert werden, was de facto den Hungertod für diese Betroffenen bedeutete hätte. Für Leningrad wurde vorgeschlagen, innerhalb von 25 Jahren 3,2 Millionen Einwohner zu vertreiben und 200 000 Deutsche dort anzusiedeln.

Nachdem schon vor 1942 vor allem in den annektierten polnischen Gebieten Hunderttausende jüdische und polnische Einwohner von ihren Wohnplätzen gewaltsam vertrieben, in Arbeitslager verschleppt oder ermordet worden waren, nahmen ab 1942/43 die Empfehlungen des Generalplan-Ost konkretere Gestalt an. Ein besonders brutales Beispiel dafür stellte der zum Distrikt Lublin gehörende Kreis Zamosc dar. Hier wurden 110 000 polnische Zivilisten aus ihren Häusern und Wohnungen gejagt und eine Reihe von Dörfern völlig zerstört, um Platz für deutschstämmige Neusiedler zu schaffen.

Nur der weitere Verlauf des Krieges verhinderte, dass die Mordpläne der deutschen Raumforscher im vollen Umfang realisiert werden konnten. Der Generalplan-Ost, an dessen Ausarbeitung Angehörige der damaligen Berliner landwirtschaftlichen Fakultät an herausragender Stelle beteiligt waren, zählt zu den schlimmsten Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Er wird vom Fakultätsrat der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät einhellig als schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Ein wissenschaftliches Erbe gebührend zu pflegen, verlangt auch von unserer Fakultät, sich der Gesamtheit ihrer Geschichte zu stellen, das heißt nicht nur deren positive Seiten, z. B. die bedeutenden wissenschaftliche Leistungen eines Albrecht Daniel Thaer, eines Friedrich Aereboe, eines Ernst Wundsch oder eines Gustav Fischer zu würdigen, sondern sich auch mit den negativen Kapiteln der Fakultätsgeschichte während der nationalsozialistischen Diktatur kritisch auseinander zu setzen.

Wenn auch den Nachgeborenen der Generation der Täter und Beteiligten keine unmittelbare persönliche Schuld beizumessen ist, sind wir doch alle - und ganz speziell die Angehörigen der Berliner Fakultät - verpflichtet, uns für das Auffinden und Verarbeiten der historischen Wahrheit zu engagieren. Ein solches Tun bildet die entscheidende und fruchtbare Voraussetzung für einen gewissenhaften und ehrlichen Erinnerungs- und Lernprozess.

Anlässlich des heutigen Datums bitten wir öffentlich um Entschuldigung bei allen toten und noch lebenden Opfern, denen der verbrecherische Generalplan-Ost und seine Folgen unendliches Leid zugefügt haben und leisten dafür tief empfundene Abbitte. Den Hinterbliebenen versprechen wir, kompromisslos alle in unserem demokratischen Staatswesen gewährleisteten Möglichkeiten zu nutzen, damit sich ein solch menschenfeindlicher Missbrauch agrarwissenschaftlicher Erkenntnisse niemals wiederholen kann.

Wissenschaftler in und außerhalb der Fakultät haben während der letzten anderthalb Jahrzehnte ausführlich über die genannten menschenfeindlichen Aktionen geforscht. Leider haben die hierbei gewonnenen Forschungsergebnisse im öffentlichen Leben und im Bewusstsein der Fakultät und der Universität bisher nur eine relativ bescheidene Resonanz gefunden. Die Fakultät bekennt sich erneut und ausdrücklich zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in Lehre und Forschung, die sich in Leitbild und Praxis widerspiegeln muss:

  • Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät sieht die Schaffung eines gesellschaftlichen Problem- und Verantwortungsbewusstseins als integralen Bestandteil ihrer Ausbildung.

  • Lehre und Forschung konzentrieren sich auf die Lösung internationaler Probleme der Ernährung und des Ressourcenschutzes.

  • Kooperative und vertrauensvolle Beziehungen zu wissenschaftlichen Einrichtungen in vielen Regionen der Welt sollen gepflegt und neu aufgebaut werden, insbesondere auch in solchen Ländern, die unter der nationalsozialistischen Politik besonders gelitten haben.

  • Die Fakultät fördert den aktiven internationalen Austausch von Studenten und Studentinnen. Sie erhofft sich davon einen Beitrag zu Toleranz und gegenseitigem Respekt.

Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät wird sich auch weiterhin der Aufarbeitung der Vergangenheit stellen - Lehre und Forschung müssen sich jedoch insbesondere an ihrem Beitrag zur Verhinderung erneuter wissenschaftlicher Barbarei messen lassen.