Humboldt-Universität zu Berlin - Forschung und Projekte

18. Juni 2003 Karriere(n) in vier politischen Systemen: Der Gynäkologe Walter Stoeckel (1871-1961)

walter_stoeckel.jpgReferent: Prof. Dr. Dr. Rolf Winau

 

Walter Stoeckel war einer der berühmtesten Medizinprofessoren der Berliner Universität. Im Kaiserreich, in der Weimarer Republik im Dritten Reich und im sowjetischen Sektor und der späteren DDR hat er an wichtiger Stelle die Geschicke der Gynäkologie und Geburtshilfe in Berlin bestimmt.

Als Oberarzt bei Ernst Bumm in der Charité leitete er von 1904 bis 1907 die Poliklinik in der Luisenstraße, die er in seinen Memoiren nicht gerade schmeichelhaft beschreibt.

Nachdem er die Ordinariate in Marburg, Kiel und Leipzig innegehabt hatte, kehrte er 1926 nach Berlin zurück als Ordinarius der Universitätsfrauenklinik in der Artilleriestraße. Erst 1950, im Alter von 79 Jahren wurde er emeritiert, bestimmte aber auch danach nicht unwesentlich die Geschicke seines Faches in Berlin.

 

Rolf_Winau.gifIn allen vier politischen Systemen hat er sich Loyal gegenüber dem Staat und den jeweils Regierenden verhalten. Forderungen, denen er sich nicht entziehen zu glauben durfte, hat er stets erfüllt. Die Vorlesung untersucht dies vor allem für die Jahre der sogenannten Machtergreifung, in denen Stoeckel auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Berliner Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie war.

Wie so viele Wissenschaftler seiner Generation war er durch das Kaiserreich geprägt und stand der Weimarer Republik distanziert gegenüber. Bezeichnend ist sein Ausspruch, als er den Lehrstuhl in Berlin erreichte: "Ich war Kaiser geworden." Stoeckel war nie Mitglied der NSDAP, aber er sah in Hitler, auch hier im Einklang mit vielen Kollegen den Retter und setzte die Forderungen nach Ausschaltung der jüdischen Ärzte ohne Wiederstand um, was nicht ausschloss, dass er Robert Meyer in seiner Klinik bis 1939 eine Arbeitsmöglichkeit bot.

Er ist aber auch einer der wenigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Versagen eingestanden haben. In seinen Erinnerungen schreibt er "dass wir deutschen Universitätslehrer versagt haben, als es darum ging, Solidarität zu zeigen."