Humboldt-Universität zu Berlin - Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus

Kurzvorstellung Rainer Orth

Dissertationsvorhaben

Arbeitstitel: «Der Amtssitz der Opposition?» Politik und Staatsstreichpläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933/1934

 

Projektbeschreibung:

„Ehe ein Jahr vergeht, haben wir die Banditen fertig gemacht, wenn es nicht anders geht mit Eierhandgranaten und Sprengstoff.“ Edgar Jung im November 1933 über die NS-Regierung

Wenige Monate nach der Bildung der Regierung Hitler am 30. Januar 1933 wurde ein neues Ministerium ins Leben gerufen, das es bis dahin im Deutschen Reich nicht gegeben hatte: Das sogenannte „Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers“. Die neue Dienststelle – die den Rang einer obersten Reichsbehörde besaß – nahm ihren Betrieb am 15. Mai 1933 auf.

An der Spitze des Büros des Stellvertreters des Reichskanzlers stand der westfälische Landadelige Franz von Papen, ein parteiloser Konservativer, der als persönlicher Vertrauensmann des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 30. Januar das Amt des Vizekanzlers in der als Koalitionsregierung aus Nationalsozialisten und verschiedenen konservativen Gruppen und Einzelpersönlichkeiten angelegten Hitler-Regierung übernommen hatte. Offiziell war das neue Ministerium mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte des Vizekanzlers betraut. Tatsächlich war es jedoch noch sehr viel mehr: Denn hinter der Fassade alltäglicher ministerialer Verwaltungsarbeit probten einige Angehörige des Stabs von Franz von Papen den „Hochverrat“ gegen die Regierung, der sie offiziell angehörten, indem sie das Ministerium des Vizekanzlers heimlich zum organisatorischen Kristallisationspunkt der konservativen Opposition gegen die Herrschaft eben dieser Regierung ausbauten. Ihren als redselig, unentschlossen und unzuverlässig geltenden „Chef“ ließen Papens Mitarbeiter dabei wohlweislich über ihre Aktivitäten im Dunkeln.

Nachdem die Versuche des Papen'schen Stabes als „Reichsbeschwerdestelle“ oder „Klagemauer des Dritten Reiches“ – wie das Büro im Volksmund bald hieß – den Umbau des Deutschen Reiches in eine totalitäre Diktatur zu verhindern, gescheitert waren, ging die Verschwörergruppe in der Vizekanzlei im Herbst 1933 dazu über, den gewaltsamen Umsturz der NS-Herrschaft vorzubereiten.

Zu diesem Zweck entwickelten Papens Pressechef Herbert von Bose, sein Redenschreiber und Vordenker Edgar Jung und sein Adjutant Fritz Günther von Tschirschky und einige weitere Verschwörer den Plan, die Machtstellung ihres Ministeriums und die Vertrauensstellung, die ihr Chef Papen beim Reichspräsidenten von Hindenburg genoss, zu nutzen, um Hindenburg die Gefahren und Verbrechen der NS-Politik vor Augen zu führen. Gestützt auf belastendes Material, das diese „Kanzlei-Gruppe“ in ihrer Eigenschaft als Teil des Regierungsapparates sammelte, sollte Hindenburg dazu veranlasst werden, seine Macht als Oberbefehlshaber der Armee einzusetzen, um die NS-Regierung mit Hilfe der bewaffneten Macht gewaltsam aus den Angeln zu heben. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Anliegen gemacht, die Geschichte der Gruppe in der Vizekanzlei von ihren Anfängen bis zu ihrer blutigen Zerschlagung im Zuge der bekannten Röhm-Affäre im Sommer 1934 zu rekonstruieren.