Humboldt-Universität zu Berlin - Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts

Exkursion nach Barcelona und Madrid 2018

Von Barcelona nach Madrid – von Katalonien nach Spanien? Die zwei Reiseziele der von Prof. Dr. Birgit Aschmann im Juni 2018 durchgeführten Exkursion standen emblematisch für die zwei Seiten in der Auseinandersetzung um die katalanische Unabhängigkeit. Doch bei der Suche nach den Ursprüngen, Hintergründen und Schattenseiten der katalanischen „Revolution des Lächelns“ stellte sich bald heraus, dass die Konfliktlinien alles andere als gradlinig verlaufen. Immer wieder zeigte sich dabei die Problematik der Begriffe nación und nacionalidad. Dass sich Madrid und Barcelona keineswegs als bloße Gegenpole verstehen lassen, machte am letzten Tag, kurz vor dem Abflug, der Touristenführer beim Rundgang durch das spanische Außenministerium noch einmal deutlich: „I’m Catalan, I’m Spanish, I feel European.“

 

Vor dem Besuch des Gran Teatre del Liceu in Barcelona…

Vor dem Besuch des Gran Teatre del Liceu in Barcelona…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Vor Ort eröffneten Treffen mit verschiedensten Gesprächspartnern den Studierenden die Möglichkeit, sowohl mit Unabhängigkeitsbefürwortern als auch -gegnern zu diskutieren und kritische Fragen zu stellen. So entfaltete sich im Laufe der Woche in breites Spektrum an Perspektiven: Da gab es die die Unabhängigkeit als verfassungswidrig ablehnende Juristin mit katalanischem Familienstammbaum, aber auch den Vizepräsidenten des katalanischen Kulturvereins Omnium Cultural, der auf die Unterdrückung der katalanischen Sprache während der Franco-Diktatur (1936/39-1975) verwies und das dret a decidir (Recht auf Selbstbestimmung) als „Menschenrecht“ verteidigte. Während Erstere mit Schrecken von Straßenbarrikaden erzählte, zog Letzterer den Brief eines inhaftierten Separatisten aus dem Jackett.

 
Die Gegensätzlichkeit der scheinbar unvereinbaren Geschichtsbilder und historischen Narrative, die von Gegner_innen und Befürworter_innen der katalanischen Unabhängigkeit bemüht wurden, forderten die Exkursionsteilnehmer_innen dabei immer wieder aufs Neue heraus. Im idyllisch in den umliegenden Bergen gelegenen Kloster Montserrat, zum Beispiel, zeichnete der Archivar der Benediktinerabtei eine Geschichte der Unterdrückung nach, in der das Jahr 1714 mit dem Verlust des Katalanischen Parlaments eine entscheidende Zäsur dargestellt habe. „1714 es mentira“ – 1714 ist eine Lüge – hielt bei einem Gespräch in den Räumlichkeiten der Universidad Complutense de Madrid ein Abgeordneter der konservativen Partei Partido Popular dagegen. Es habe sich nicht um einen Unabhängigkeitskrieg, sondern um einen dynastischen Konflikt und die Auseinandersetzung zwischen Ancien Régime und Liberalismus gehandelt.


Am vielleicht eklatantesten offenbarte sich das Konfliktpotential der kollektiven Erinnerung in Bezug auf die Franco-Diktatur. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, das in der Gesellschaft der Post-Franco-Ära die Vergangenheit lange beschwiegen wurde, was gemeinhin als „Pakt des Vergessens“ (Pacto del olvido) bezeichnet wird. Die Konflikte werden aktuell durch die Diskussion darüber angeheizt, was mit dem nahe bei Madrid gelegenen Valle de los Caídos geschehen sollte. Hier befindet sich nicht nur die Grablege Francos, sondern, oftmals gegen den dezidierten Willen ihrer Familien, auch die Gebeine vieler republikanischer Bürgerkriegsopfer. Der eindrückliche Besuch dieses „Erinnerungsortes“, der sich gleichwohl mehr als „Überrest“ (Droysen) denn auch nur ansatzweise als moderne Gedenkstätte darstellte, beschäftigte die Exkursionsteilnehmer_innen intensiv. Im Gespräch wandte sich der Prior der dortigen Benediktinerabtei gegen eine „Politisierung“ dieses Ortes, gedenke er doch der Opfer beider Seiten in gleichem Maße. Der von der Stadtregierung Barcelonas mit der memoria (Erinnerung) beauftragte Historiker dagegen hatte bei einem Treffen im Rathaus wenige Tage zuvor dafür plädiert, diesen untrennbar mit Franco verbundenen Ort den Zerfallsprozessen der Natur zu überlassen. Schon jetzt tropft Wasser aus manchen Stellen des Gewölbes.


Neben den Gesprächen und Besichtigungen war der Austausch in der Gruppe der dritte wichtige Bestandteil der Exkursion. Das gegenseitige Kennenlernen, die intensiven Diskussionen und das gesellige Beisammensein in den Tapas-Bars von Barcelona und Madrid ließen die Exkursion zu einem besonders schönen Erlebnis werden. 

 

Text: Lea Frese-Renner

 

► Link: Juliane Sprick, Ist der Kaffee alle? Der spanisch-katalanische Konflikt brodelt weiter [Interview mit Michael Griff, Tony Glasow und Silvia Soyter], in: Unauf, 2.10.2018, http://www.unauf.de/2018/ist-der-kaffee-alle-der-spanisch-katalonische-konflikt-brodelt-weiter/.