Humboldt-Universität zu Berlin - Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts

HT 2018: Momente des Separatismus (September 2018)

Auf dem Historikertag 2018 in Münster fand eine von Prof. Aschmann geleitete Sektion zum Thema "Momente des Separatismus. Eine Emotionsgeschichte aktueller europäischer Unabhängigkeitsbewegungen: Katalonien, Schottland, Südtirol und Kosovo" statt.

 

Titel 

Momente des Separatismus. Eine Emotionsgeschichte aktueller europäischer Unabhängigkeitsbewegungen: Katalonien, Schottland, Südtirol und Kosovo

 

  • Sektion im Rahmen des Historikertags 2018 in Münster
  • Sektionsleitung: Birgit Aschmann (Berlin)

 

Ort

  • Münster

 

Datum

  • 27. September 2018

 

Tagungsbericht (Auszug von hsozkult.de)

Entlang der bisher wenig beleuchteten Schnittstelle von Nationalismusforschung und Emotionsgeschichte spürte die von BIRGIT ASCHMANN (Berlin) geleitete Sektion verschiedenen „Momenten des Separatismus“ in Europa nach. Einführend machte Aschmann mit Rekurs auf das Thema des Historikertages zwei Arten von Spaltungen aus: erstens die territoriale zwischen Region und Nation, zweitens die innergesellschaftliche der über Sezessionsforderungen entzweiten Regionen. Dabei stelle sich gegenüber „regionalen Nationalismen“ die Frage nach den Umständen des Aufkommens von „nationalist ways of thinking and feeling“ (Judson) [1]. Schon Ernest Renan habe auf die Bedeutung von Gefühlen im Zusammenhang mit dem plebiszitären Charakter der Nation hingewiesen[2], jedoch in der Historiographie nicht wirklich Gehör gefunden, so Aschmann. Tatsächlich sei heute weniger von „Diskursmacht“ denn von „Emotionsmacht“ zu sprechen und somit nach den Techniken der „Emotionslenkung“ zu fragen.

Dieser Programmatik folgend, entwarf Aschmann in ihrem Vortrag eine emotionshistorische „Chronologie der Eskalation“ der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung von der invention of tradition (Hobsbawm/Ranger) [3] des Katalanismus im 19. Jahrhundert bis zum letztlich scheiternden „Moment des Separatismus“ im Herbst 2017. Im Hinblick auf Strategien der Emotionalisierung und der Einübung von Geschichtsdiskursen sei die lange Amtszeit des katalanischen Regierungschefs Jordi Pujol (1980-2003) als „Inkubationsphase“ zu verstehen: Eine gezielte „Politik der Katalanisierung“ in Medien und Bildungssektor habe in Verbindung mit dem wachsenden Engagement zivilgesellschaftlicher Akteur_innen zu einem wechselseitigen „Überbietungswettbewerb“ geführt. Sichtbarster Ausdruck des um 2010 nicht zuletzt durch die Verschränkung multipler Krisen ausgelösten Paradigmenwechsels von der Aushandlung von immer weitreichenderer Autonomie zum Separatismus waren die große Massendemonstration zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September 2012 und die Gründung der Bürgerbewegung Assemblea Nacional Catalana (ANC) im selben Jahr. Das doing nation festigte sich auch im Alltag und in lokalen Praktiken wie in der „spielerischen Insubordination“ inszenierter Plebiszite in zahlreichen Gemeinden Kataloniens in den Jahren vor dem verbotenen Referendum von 2017. In dieser Zuspitzung des Konflikts sei dann, so Aschmann, die „problematische Paradoxie des separatistischen emotional regime (Reddy)“[4] zutage getreten: Ungeachtet der vorhandenen Opfernarrative und vielfach geschürter Ressentiments hätten der selbstauferlegte Modus der Friedfertigkeit („Revolution des Lächelns“) und das Externalisieren von Gewalt und Hass im Selbstbild der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung disruptive, aggressive Emotionen und entsprechende Handlungsoptionen zunächst ausgeschlossen. Die emotionale Verpflichtung auf die Friedfertigkeit erkläre so auch das Scheitern im (revolutionären) „Moment des Separatismus“. Darüber hinaus sei es im innerkatalanischen Konflikt den Gegner_innen der Unabhängigkeit gelungen, sich neu zu formieren und zu inszenieren, und zwar nicht als reaktionäre Fraktion, sondern durchaus in erfolgreicher Imitation des ostentativ positiven Emotionsstils der Separatist_innen. Beide Seiten würden so den Anspruch erheben, die „normalen“ Katalan_innen zu repräsentieren.

[...]

Für vollständigen Tagungsbericht von Lea Frese-Renner / Jan-Martin Zollitsch siehe:

Tagungsbericht: HT 2018: Momente des Separatismus. Eine Emotionsgeschichte aktueller europäischer Unabhängigkeitsbewegungen: Katalonien, Schottland, Südtirol und Kosovo, 25.09.2018 – 28.09.2018 Münster, in: H-Soz-Kult, 09.11.2018, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7943>.

 

Sektionsübersicht

Birgit Aschmann (Berlin): „Wir haben immer nur in die Fresse gekriegt“. Emotionalisierung und Geschichtsdiskurse im katalanischen Unabhängigkeitsprozess

Christiane Eisenberg (Berlin): Das schottische Unabhängigkeitsreferendum von 2014. Ein „Moment des Separatismus“

Oswald Überegger (Bozen): „Los von Rom“. Unabhängigkeitsdiskurse in Südtirol

Hannes Grandits (Berlin): Emotionalisierung und Separatismus. Gibt es Lehren aus Kosovo (Bosnien)?

Heinz-Gerhard Haupt (Florenz): Kommentar