Humboldt-Universität zu Berlin - Geschichte Westeuropas und transatl. Beziehungen

Forschungsprojekt - PD Dr. Jasper Trautsch

 

Globale Geographien im Wandel: Die Neukartographierung der Erde im Zeichen des Ost-West- und Nord-Südkonflikts von den 1860ern bis zu den 1970ern

Changing Global Geographies: Cartographic Representations of the East-West and North-South Conflicts, 1860s-1970s  

 

Zusammenfassung

Das Forschungsprojekt geht der Frage nach, wie Weltkarten, die auf massenhaft Verbreitung findenden Medien wie in Schulatlanten, auf Briefmarken und Wahlplakaten sowie im Hintergrund von Nachrichtensendungen im Fernsehen erschienen, die Welt zwischen den 1860ern und den 1970ern, also zwischen der Genese einer weltumspannenden interimperialen Ordnung und deren Zerfall bzw. Ersetzung durch eine internationale Ordnung, unterteilt und die Vorstellung der historischen Zeitgenossen vom Aussehen der Erde geprägt haben. Dabei geht es davon aus, dass „Welt“ – ebenso wie „Nation“ – keine selbstverständliche und naturgegebene Kategorie ist, sondern sich die Bilder, die wir uns von der Erde machen, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit kulturspezifischen Weltdeutungen stehen, sie von politischen Interessenlagen beeinflusst und dementsprechend umstritten sind und einem historischen Wandel unterliegen. Anders ausgedrückt haben die Globalisierungsprozesse, die im Untersuchungszeitraum stattfanden und dazu führten, dass globale Zusammenhänge, Interdependenzen und Verflechtungen zunehmend breitenöffentlich diskutiert wurden, seit den 1860ern nicht zu einer homogenen Vorstellung des Aussehens der Erde geführt, sondern haben Welt-Raum-Grenzziehungen, die die Erde strukturieren, überhaupt erst produziert und zu Deutungskämpfen um Welt-Bilder geführt.

Der Wandel dieser – bzw. der Streit um diese – Welt-Bilder wird in Bezug auf Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die USA analysiert. Als global agierende Imperialmächte, aber auch als führende Produzenten von Karten haben sie besonders großen Einfluss auf die Welt-Bilder im Zeitalter des Imperialismus gehabt. Am Beispiel der USA kann sodann analysiert werden, wie im frühen 20. Jahrhundert ein neues atlantisches Welt-Bild entstand, das die Dominanz der jahrhundertealten Gegenüberstellungen von Westlicher und Östlicher Hemisphäre durchbrach und den Übergang von einer interventionistischen zu einer isolationistischen Außenpolitik begleitete. Der Fall Deutschlands zeigt, wie sich aufbauend auf denselben nationalen kartographischen Traditionen in beiden Teilen nach 1945 ganz unterschiedliche neue Welt-Bilder, die paradigmatisch für die Vorstellungswelten der Blöcke auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs standen, entwickelten und zur Naturalisierung und damit Langlebigkeit des Ost-West-Konflikts beitrugen. Schließlich kann an den Beispielen Großbritanniens und Frankreichs rekonstruiert werden, wie die mitunter konfligierenden Anforderungen des Kalten Krieges und des Dekolonisierungsprozesses zu miteinander konkurrierenden Orientierungen führten und die Kartographie damit zum unmittelbaren Gegenstand politischer Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über diese globalen Systemkonflikte beförderten.

 

 

Summary

This research project analyzes how world maps that appeared in mass media such as school atlases, stamps, election posters, and TV news programmes divided the world and shaped how historical contemporaries imagined the globe between the 1860s and 1970s – a period that witnessed the emergence of a globe-spanning inter-imperial order and its subsequent transition to an inter-national order.

It suggests that the concept of the world – like “the nation” – is no self-evident and natural category, but that images of the earth are shaped by how specific cultures conceive of and interpret their world, are influenced by political interests and therefore contested and historically contingent. Put differently, the globalization processes taking place in the period of investigation and triggering mass media discussions about global connections, interdependencies, and entanglements since the 1860s have not led to consent on what the earth looks like but, to the contrary, produced global demarcation processes and caused interpretative battles about world images.

Reconstructing how these world images changed over the course of time and became subject of political disputes, this research project focuses on Germany, Great Britain, France, and the U.S. As imperial powers with global interests and leading producers of maps, these countries have had a preponderant influence on world images in the age of imperialism. The case of the U.S. is then used to examine how a new Atlantic world image emerged in the early 20th century, which challenged the dominance of the centuries-old juxtaposition of Western and Eastern Hemisphere and helped bring about the change from an isolationist to an interventionist foreign policy. The German case demonstrates how, starting from the same national cartographic traditions, after 1945 new and different “world images” developed in both parts of the country, which were paradigmatic for the global imaginaries of the blocs on both sides of the Iron Curtain and contributed to the naturalization and therefore longevity of the East-West conflict. Finally, the cases of Great Britain and France make it possible to analyze how the conflicting requirements of the Cold War and the decolonization process led to competing spatial orientations and therefore made cartography the subject of political battles over how to interpret these global conflicts.