Humboldt-Universität zu Berlin - Fachschaftsinitiative (Studierendenvertretung)

Humboldt-Universität zu Berlin | Institut für Geschichtswissenschaften | Fachschaftsinitiative (Studierendenvertretung) | Archiv der Mitteilungen | Stellungnahme der Fachschaftsinitiativen zum Artikel „Unser Professor, der Rassist“ von Friederike Haupt (FAS v. 17.5.2015)

Stellungnahme der Fachschaftsinitiativen zum Artikel „Unser Professor, der Rassist“ von Friederike Haupt (FAS v. 17.5.2015)

Stellungnahme der Fachschaftsinitiativen Erziehungswissenschaften; Gender Studies und Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zum Artikel „Unser Professor, der Rassist“ von Friederike Haupt (FAS v. 17.5.2015)

 

„Unser Professor, der Rassist“ titelte am 17. Mai ein Zeitungsartikel von Friederike Haupt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Damit bezieht sich die Überschrift auf die Auseinandersetzung zwischen dem HU-Politikwissenschaftler Herfried Münkler und dem Blog „Münkler Watch“, auf dem Studierende Versatzstücke der Äußerungen ihres Professors kommentieren. Was der Überschrift folgt, ähnelt eher einem polemischen Kommentar als einem Artikel und beschäftigt sich kaum mit Münkler oder gar der konkreten Kritik an ihm. Stattdessen macht es sich die Autorin zur Aufgabe, vor einem vorgeblich gefährlichen Trend an der Humboldt-Universität zu warnen. Denn hier sähen sich Professoren (Haupt verwendet ausschließlich die männliche Form) zunehmend mit „extremistischen“ (!) Studierendengruppen konfrontiert, die ihre Lehrenden öffentlich diskreditierten und durch die Radikalität ihrer Kritik das Angebot guter Lehre unmöglich machten. Denn die Professoren seien mittlerweile nur noch damit beschäftigt, ihre Worte auf die Goldwaage zu legen, da sie um ihr Ansehen fürchten müssten.

Wir als Fachschaftsinitiativen – und damit Vertreter_innen der Studierenden der Fächer Erziehungswissenschaften, Gender Studies und Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität – weisen diese pauschalisierende Darstellung studentischer Kritik entschieden zurück. Es ist nicht widerspruchsfrei möglich, Polemik seitens der Studierenden zu verurteilen und gleichzeitig im Artikel selbst auf polemische Weise die Verhältnisse zwischen Lehrenden und Lernenden verzerrt darzustellen und willkürliche Assoziationen in den öffentlichen Raum zu werfen. Wir wollen die Dynamik der Polemik und damit die Debatte um die Form der Kritik durchbrechen und stattdessen auch auf ihre inhaltliche Bedeutsamkeit eingehen. Zugleich wollen wir explizit weder das Verhalten verschiedener kritischer Studierendengruppen noch das der im Artikel benannten (und unbenannten) Professor_innen be- oder gar verurteilen. Im Interesse der von uns vertretenen Studierenden halten wir es für wichtig, nunmehr öffentlich nach Sinn und Legitimation, aber auch nach den Grenzen und Hürden studentischer Kritik als Teil der gestalterischen Teilhabe an der Universität zu fragen.

Fraglos ist Kritik im universitären Raum unerlässlich. Die Fähigkeit zur Reflexion ist nicht umsonst Bestandteil zahlreicher Studienordnungen. Dies schließt die Kritik „von unten“, also von Seiten der Studierenden gegenüber ihren Lehrenden, mit ein. Selbstverständlich ist studentische Kritik nicht unhinterfragbar; auch sie muss wiederum diskutiert werden. Keinesfalls aber darf ein Urteil fallen, indem auf Grund des Tonfalls der Kritik oder der vermeintlichen Anonymität ihrer Urheber_innenschaft die inhaltlichen Anliegen für grundsätzlich illegitim oder irrelevant erklärt werden.

Friederike Haupt stellt in ihrem Artikel Vermutungen auf, die wenig über die tatsächlichen Vorgänge an der Humboldt-Universität aussagen. Dabei bringt sie Vertreter_innen unterschiedlicher politischer Richtungen und unterschiedlich agierende Gruppen, die völlig verschiedene Ziele verfolgen, miteinander in Verbindung. Sie unterstellt, es handele sich um eine einzelne Gruppe. Auch der von ihr hergestellte Zusammenhang zwischen hedonistischer Wochenendgestaltung und persönlichem Fehlverhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln einerseits und den Gender Studies, sowie Professx (nun steht es da) Lann Hornscheidt, andererseits, bleibt unverständlich. Die Gender Studies sind ein anerkanntes und bedeutsames transdisziplinäres Forschungsfeld. Lann Hornscheidt gebührt ebenso viel Respekt wie den im Artikel durchgehend positiv dargestellten Kollegen Baberowski, Brinkmann und Münkler. Die Praxis der Interventionen, z. B. als Eingriff in eine Vorlesung, ist streitbar – sie rechtfertigt es aber keineswegs, Studierende in eine Reihe zu stellen mit „Bombendrohungen und Mordaufrufen“.

Der Vorwurf der Anonymität der Kritiker_innen ist bei genauerer Betrachtung nicht haltbar. Zum einen, weil die universitäre Praxis der anonymen Rezension auf eine lange Tradition zurückgeht: als Peer Review in der Wissenschaft (wenn auch sicher in einem sachlicheren und wohlmeinenderen Ton) und als in Zeitungen veröffentlichte Rezension zu sachlichen und literarischen Texten (keineswegs immer im sachlichen oder wohlmeinenden Ton). Zum anderen agieren gar nicht alle von Haupt erwähnten Gruppen in vollständiger Anonymität, wir wollen sie daher kurz einzeln betrachten.

Wenden wir uns zuerst der Gruppe „Wissen gegen Ignoranz“ zu, die Anfang 2014 offene Briefe an den Erziehungswissenschaftler Malte Brinkmann schrieb und unter anderem mit einer Klatschintervention in die Vorlesung eingriff. Obgleich die schriftlichen Äußerungen stets mit Gruppenpseudonym unterschrieben wurden, waren viele Aktivist_innen aus den Vorlesungen bekannt. Auch die im Artikel erwähnten Beiträge auf der universitätsinternen Online-Lernplattform wurden nicht anonym verfasst. Die Gruppe stand sogar für persönliche Gespräche zur Verfügung; hinter der geäußerten Kritik standen Studierende, keine „Einhörner“ oder „Altkader extremistischer Parteien“.

Auch die Kritiker_innen des Historikers Jörg Baberowski treten als Gruppe auf, nämlich als Jugendorganisation der sich in trotzkistischer Tradition sehenden PSG (Partei für Soziale Gleichheit); die Verantwortlichen sind daher keine Unbekannten. Ihre Sprecher_innen sind namentlich bekannte Studierende und wer sie sucht, findet sie regelmäßig beim Flugblätterverteilen auf dem Campus. Außerdem wurde ein Vertreter im Frühjahr in das Studierendenparlament gewählt. Von Anonymität kann hier demnach keine Rede sein, ganz im Gegenteil: Die Gruppe sucht die öffentliche Auseinandersetzung und das Gespräch mit Jörg Baberowski.

Auch im Artikel gibt es zudem Menschen, die lieber ungenannt bleiben möchten – aus „Angst“. „Was bedeutet Angst für einen Ort, an dem junge Menschen das Denken lernen?“ fragt Haupt. Hier geht es jedoch nicht um die Angst der Lernenden, sondern die einiger Lehrender. Die Gefühle der Kritisierten zu beurteilen, steht uns nicht zu. Wir halten es aber für unerlässlich, auf die Machtverhältnisse an der Universität hinzuweisen, denn um Macht, so Haupt, gehe es. Auf der einen Seite steht ihren Ausführungen zu Folge eine kleine Gruppe von Studierenden, die in ihrer Radikalität auch gegen die Mehrheit ihrer Mitstudierenden opponiere. Auf der anderen Seite stünden die erfahrenen „Hochschullehrer“, „hoch anerkannt“, preisgekrönt und international bestens vernetzt. Sie wissen große Teile der Gesellschaft und der Medien, wohl auch die FAS, hinter sich; schon allein aufgrund ihrer Reputation erscheinen sie der Autorin unantastbar, unhinterfragbar. Ein konservatives Autoritätsargument par excellence. Warum aber wird eben diese fachliche und gesellschaftliche Bedeutsamkeit Lann Hornscheidt nicht zuerkannt? Haupt reproduziert das universitäre Machtgefälle zugunsten des Professoriums und lässt es unreflektiert.

Auseinandersetzungen zwischen den Statusgruppen der Studierenden und der Professor_innen finden letztlich nie auf Augenhöhe statt; selbst dann nicht, wenn sich alle darum bemühten. Die Abhängigkeitsverhältnisse bleiben bestehen und sind stets mitzudenken: Studierende sollen an der Uni das Denken lernen – von den Professor_innen. Diese bewerten deren Leistungen – immer wieder.

Wenn Lehrende über Netzwerke verfügen, dann gilt das als selbstverständlich und wichtig. Wenn jedoch Studierende über Netzwerke verfügen und diese zur Äußerung von Kritik nutzen, fühlen sich Lehrende eingeschüchtert. Wer über die einflussreichere Lobby verfügt, braucht angesichts des Verlaufs der medialen Debatten in den letzten Wochen nicht eigens erwähnt zu werden. Wenn sich Studierende des zweiten Semesters nachvollziehbarerweise nicht mit einem überaus medienerfahrenen Professor auf ein Podium setzen und diskutieren möchten, dann gilt das als „feige“.

Selbst wenn die von den Studierenden vorgetragene Kritik in ihrer Form mitunter ungewöhnlich, provokant oder teilweise auch unangemessen war, rechtfertigt dies nicht, den inhaltlichen Kern der Kritik unter den Tisch fallen zu lassen. In mancher Hinsicht war die studentische Kritik nicht folgenlos. So hat es im letzten Jahr sicher nicht zufällig am Institut für Erziehungswissenschaften eine deutliche Öffnung hin zu Fragen von Gender und Diversität gegeben. Zwei Gastprofessorinnen tragen jetzt Themen in das Institut – auch in die Lehre – die dort in der Vergangenheit eher zurückhaltend behandelt wurden. In naher Zukunft wird voraussichtlich außerdem eine Juniorprofessur hinzukommen, die sich mit Gender-Themen befassen wird. Dieser und andere Fälle zeigen, warum Universitäten studentische Kritik brauchen, auch wenn sie mitunter schwer daran zu tragen haben.

Die Universität lebt von einer Vielfalt an Perspektiven. „Denken lernen“ heißt nicht nur, den Gedanken Anderer zuzustimmen, sondern sich auch an ihnen zu reiben, Gegenpositionen auszuprobieren, Traditionen und Konventionen zu hinterfragen und gegebenenfalls mit ihnen zu brechen. An Universitäten soll Bildung stattfinden und Bildung ist ohne ihre kritisch reflexive Komponente undenkbar. Wir Studierende verbinden den exklusiven universitären Raum, den Elfenbeinturm, mit der Gesellschaft, indem wir neue Impulse, neue Fragen von außen in die akademische Gemeinschaft tragen. Bedingung dafür ist, dass wir gehört werden. Es ist berechtigt, dabei auf die Notwendigkeit von gegenseitigem Respekt zu verweisen.

„Was bedeutet das für eine Uni?“, fragt Haupt zu Beginn ihres Artikels in Hinblick auf die in den letzten Monaten aufgekommene Kritik. Wir fragen: Was bedeutet es für eine Universität und eine Gesellschaft, wenn Studierende sich genötigt sehen, immer offensiver auf sich aufmerksam zu machen, um überhaupt gehört zu werden und eine Debatte anzustoßen?


Die Fachschaftsinitiativen Erziehungswissenschaften, Gender Studies und Geschichtswissenschaften