Humboldt-Universität zu Berlin - Geschichte Osteuropas

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Export des Stalinismus. Sowjetische Herrschaftspraxis und Alltag in Lemberg 1939- 1941

 

Dissertationsprojekt von Christian Meier

Betreuer: Prof. Dr. Jörg Baberowski

 

Die Besetzung Ostpolens durch die Rote Armee im September 1939 war zugleich der Auftakt zu einer radikalen und gewalttätigen Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, zu einer „Revolution from abroad“ (Jan Tomasz Gross). Eine umfassende Sowjetisierung aller Lebensbereiche nach dem Vorbild des bis dahin in der Sowjetunion existierenden Herrschafts- und Gesellschaftsmodells mittels Propaganda, Gewalt und Terror war von Anfang an erklärtes Ziel der sowjetischen Führung unter Stalin. Die besetzten Gebiete wurden daher unverzüglich administrativ in die Sowjetunion eingegliedert und bildeten fortan die westlichen Gebiete der weißrussischen bzw. ukrainischen Sowjetrepubliken.

Die Errichtung der sowjetischen Herrschaft über eine ehemals „kapitalistisch- bourgeoise“ Gesellschaft bedeutete die politische, soziale und ethnische Neuvermessung der besetzten Gebiete und seiner Bewohner und brachte die Eröffnung von zahlreichen Freund- und Feindkategorien mit sich. Am Beispiel der Stadt Lemberg (L’viv, Lwów) als einem Mikrokosmos soll untersucht werden, anhand welcher Erfahrungen und Kategorien die sowjetischen Machthaber die einheimische Bevölkerung analysierten, bestimmten Gruppen zuordneten und wie sich wiederum die Einwohner der Stadt dazu verhielten. Durch den umfassenden Hegemonieanspruch der neuen Machthaber über alle Lebensbereiche sahen sich die Einwohner der Stadt gezwungen, sich und ihre Umwelt nach radikal anderen Werten und Prinzipien zu interpretieren und ihr alltägliches Verhalten neu zu bestimmen.

Das Dissertationsprojekt befasst sich mit den Formen sowjetischer Herrschaft in Lemberg, den Reaktionen der Stadtbewohner und die Begegnungen und Interaktionen zwischen „Herrschern und Beherrschten“. Im Fokus sollen die unterschiedlichen Strategien der Herrschaftssicherung der Sowjets, bestehend einerseits aus Terror und andererseits aus der Gewinnung bestimmter Bevölkerungsgruppen für das neue System, aber auch von Anpassung, von „Arrangements“, ja sogar Unterstützung der neuen Machthaber stehen. Die Frage nach den verschiedenen Motivationen ist dabei ebenso zentral wie die Formen und die Motive des relativ starken Widerstands gegen die neue Ordnung. Kurz, gefragt werden soll, wie sich die sowjetische Herrschaft wie, wo und wem repräsentierte, welche Bilder und Vorstellungen sie vermittelte, welche Realitäten sie schuf und anhand welcher Erfahrungen und Perzeptionsmuster die Bewohner Lembergs diese für sich in sinnhafte Deutungen und konkrete Handlungen übersetzten.