Humboldt-Universität zu Berlin - Südosteuropäische Geschichte

Claudia Lichnofsky

Entstehung neuer ethnischer Identifizierungen am Beispiel der Ashkali und Ägypter im Kosovo

 

Sowohl Ägypter_innen als auch Ashkali sind heute in der Verfassung der Republik Kosovo festgeschriebene ‚communities‘ mit Minderheitenrechten, wie z.B. einem reservierten Sitz im Parlament. Meist werden sie mit den Rom_nja als RAE (‚Roma, Ashkali and Egyptians‘) zusammen gefasst, unabhängig von der jeweiligen Selbstidentifizierung. Alle drei Gruppen sind mehrheitlich muslimisch und unterscheiden sich darin, dass  Ashkali und Ägypter_innen Albanisch sprachig sind während Rom_nja meist einen der im Kosovo vorkommenden Dialekte des Romanes sprechen und oft als Zweitsprache Serbisch sprechen.

Über Ägypter_innen gibt es seit 2000 einige Aufsätze aus der Ethnologie, die den Diskurs und die Entstehung neuer ethnischer Gruppen thematisieren. Über Ashkali findet sich jedoch wenig in geschichts- und kulturwissenschaftlicher Literatur. Wenn sie erwähnt werden, geschieht dies im gemeinsamen Kontext mit Rom_nja und Ägypter_innen. Ashkali und Ägypter werden entweder unter Roma subsumiert oder als ‚Zigeuner‘ bezeichnet. Auch werden sie als sehr ähnliche Milieus, aus der die eine oder andere Ethnie hervorgegangen ist, angesehen. Selten werden Rom_nja, Ashkali und Ägypter_innen als drei eigenständige Ethnien angesehen, obgleich sie häufig gleichzeitig genannt werden.

Da sich beide Gruppen auf das gleiche Milieu beziehen, stellt sich die Frage, wie und vor welchem Hintergrund neue ethnische Identifizierungen in Konfliktgesellschaften entstehen, welche historischen und politischen Rahmenbedingungen  dafür gegeben sein müssen, damit sie sich erfolgreich etablieren und was der jeweilige Vorteil für eine Identifizierung mit der einen oder der anderen Gruppe ist. Außerdem muss der soziale und politische Kontext der Mehrheitsgesellschaft betrachtet werden, der in der kosovarischen Nachkriegsgesellschaft zu einem Ausschluss von Rom_nja, aber vor allem Ashkali und Ägypter_innen aus der albanischen Nation führte mittels antiziganistischer Stereotypen. Das Verhältnis zwischen Nationalismus und Antiziganismus steht dabei besonders im Vordergrund und wird als Anlass für Ethnien- und Nationsbildung unter ausgeschlossenen Personen betrachtet. Alle drei Communities bilden sich in ExJugoslawien – allerdings zu unterschiedlichen Zeiten – unter ähnlichen gesellschaftlichen Wendepunkten und mit ähnlichen Strategien, die ein Herkunftsnarrativ konstruieren und nach einem Land suchen, das ihre Forderungen nach Anerkennung als Nation international vertritt.

Georg Elwerts Begriff der ‚Wir-Gruppen‘ bildet die Grundlage für das Verständnis der Formierung ethnischer Gruppen. Ethnien sind nicht primordial, sondern werden durch Selbstzuschreibungen geschaffen. Wenn sie einmal entstanden sind, sind Menschen nicht an eine bestimmte Wir-Gruppe gebunden, sondern haben verschiedene ethnische Identifizierungsmöglichkeiten zur Verfügung  und können zwischen diesen Gruppen situativ ‚switchen’, manchmal sogar unfreiwillig. ‚Switching‘ zwischen verschiedenen Gruppen ist dabei in der Praxis ein ganz gewöhnlicher Prozess, welcher der Annahme von tief verwurzelten Traditionen und Stabilität widerspricht, die von Akteuren, aber auch Wissenschaftlern meist behauptet wird. Daher wird in meinem Projekt ein Wechsel der Identifizierung auch nicht spezifisch für Ashkali und Ägypter angesehen, sondern mit der Ethnizitätsbildung und dem Ethnizitätswechsel von anderen Gruppen im Kosovo und Südosteuropa verglichen.

Historisch-kritisch untersucht werden schriftliche Ego-Dokumente von Rom_nja, Ägypter_innen und Ashkali (Webseiten, Offene Briefe, Artikel und Monographien). Da es vor allem von Ashkali wenig schriftliche Quellen gibt, wird der Quellenkorpus ergänzt um problemzentrierte Interviews, Statistiken, Menschenrechtsberichten und Artikel aus serbischen und albanischen Zeitungen.