Humboldt-Universität zu Berlin - Institut für Geschichtswissenschaften

Neuerscheinungen 2016

 

Ley, Domitian.jpgJochen O. Ley

Domitian. Auffassung und Ausübung der Herrscherrolle des letzten Flaviers

Logos Verlag Berlin

Berlin 2016

ISBN 978-3-8325-4225-2

Die Quellen überliefern uns Titus Flavius Domitianus als schlechten Herrscher. Doch wenn man sich dem letzten Flavier jenseits der Zuschreibungen nähert und primär seine Handlungen betrachtet, zeigt sich ein fähiger, ja guter Kaiser mit einem schlechten Image. Die senatorischen Quellen sind somit keine Zeugnisse für Domitians Herrschaftspraxis, sondern bieten einen Blick auf die Schwierigkeiten und Irritationen, die der Senat mit ihm hatte. Die pseudorepublikanische Gestaltung des Prinzipats durch Augustus trug eine Paradoxie in sich, und der Umgang damit trennt die guten von den schlechten Herrschern.

Gut waren diejenigen, die die paradoxe Kommunikation beherrschten und den Senat zufrieden stellten. Schlecht waren diejenigen, die dies nicht vermochten oder nicht wollten. Der letzte flavische Herrscher brüskierte die senatorische Gruppe nicht vorsätzlich. Soweit er es wusste, erfüllte er die Erwartungshaltung; zugleich agierte er teils stark autokratisch und zeigte, dass er der Herrscher des Reiches sein wollte. Dem Senat unter Domitian wiederum gelang die Anpassung an das System Domitian nicht. Ein Manko von Domitians Herrschaft, das sich hier rächte, war das Fehlen von Vertrauten. Keiner konnte den Herrscher darauf hinweisen, dass eine Entscheidung oder Maßnahme möglicherweise seine Stellung und Legitimität gefährdete.

 

 

 

te Heesen, Theorien des Museums polnischAnke te Heesen

Teorie muzeum

Neriton

Warschau 2016

ISBN 978-83-7543-416-3

Nur selten in der Geschichte hat eine Institution eine solche Konjunktur erfahren wie in den letzten Jahren das Museum. Zahlreiche Neueröffnungen und Neukonzeptionen haben diesen Speicherort von materiellen Sachzeugen in das Zentrum geisteswissenschaftlicher Reflexion gerückt. Zur gleichen Zeit hat sich ein differenziertes Ausstellungswesen entwickelt, das wichtige Impulse für die Darstellung von Wissen außerhalb der Buchkultur erbracht hat. Diese Einführung beschreibt die historischen Etappen der Sammlungs- und Museumsgeschichte seit der Renaissance und gibt einen Überblick über die derzeit wichtigsten theoretischen Annäherungen an das Phänomen. So erlaubt der Band einen differenzierten Blick auf den »Zeigeraum« des Museums und entfaltet dabei die feine, aber zentrale Unterscheidung zwischen Museum und Ausstellung.

 

Tiersch, Die athenische Demokratie im 4. Jh. Claudia Tiersch (Hrsg.)

Die athenische Demokratie im 4. Jahrhundert. Zwischen Modernisierung und Tradition

Franz Steiner Verlag

Stuttgart 2016

ISBN 978-3-515-11069-3

Die athenische Demokratie des 4. Jahrhunderts v. Chr. steht seit einiger Zeit verstärkt im Fokus der Forschung. Trotz ungünstiger äußerer Umstände, mehrerer militärischer Niederlagen und einer schwindenden außenpolitischen Bedeutung gelang den Athenern nicht nur die Bewältigung dieser politischen Krisen, sondern auch der daraus resultierenden Finanzprobleme. Hierbei werden Problemlösungskapazitäten und institutionelle Regularien erkennbar, die die athenische Demokratie zu einer der politisch innovativsten Ordnungen der Geschichte machen. Doch um welche Lösungsstrategien handelt es sich? Auf welchen Feldern werden Innovationen bzw. Dynamiken erkennbar? Wie wurden diese kategorial bewältigt? Die Autoren des Bandes zeigen, dass traditionale Argumente in manchen Bereichen durchaus weiterhin von Bedeutung waren. Entscheidend ist jedoch, dass die demokratischen Freiräume Athens im 4. Jahrhundert v. Chr. zu einem innovativen Schub sowie zur Ausdifferenzierung von Politikstilen genutzt wurden, die erklären, warum sich sowohl die wirtschaftliche Dynamik als auch die politische Stabilität und das Institutionenvertrauen in dieser Epoche nachhaltig erhöhte. [Inhaltsverzeichnis]

 

Hohls/Kaelble, Geschichte der europäischen Integration bis 1989Rüdiger Hohls und Hartmut Kaelble (Hrsg.)

Geschichte der europäischen Integration bis 1989

Franz Steiner Verlag

Stuttgart 2016

ISBN 978-3-515-11303-8

Die europäische Integrationsgeschichte ist vielfältiger geworden und hat ihre normative Prägung verloren. Diese Entwicklung spiegelt sich in der Auswahl von Essays und Quellen für diesen Band wider, in dem klassische wie neue Themen behandelt werden. Durch die Kombination von historischer Quelle und einleitendem Essay erhalten die Leser einen Einblick in den jeweiligen historischen Kontext, die Handlungsoptionen sowie die Motive der beteiligten Akteure. Die Texte bieten zahlreiche Anregungen für Lehre und Studium. Die Gliederung folgt den Epochen der Integrationsgeschichte im 20. Jahrhundert: Auf die Anläufe der Zwischenkriegszeit bis zur Montanunion von 1951 folgt eine Konsolidierung der europäischen Integration bis zum Gipfel von Den Haag 1969. Die letzte Phase reicht von der Krise der 1970er-Jahre bis zur Rückkehr der Dynamik in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Den inhaltlichen Schlusspunkt dieses Bandes markiert der Fall der Berliner Mauer: Ein Ereignis, das den Integrationsprozess grundlegend veränderte. [Inhaltsverzeichnis]

 

Hansen, Abschied vom Kalten KriegJan Hansen

Abschied vom Kalten Krieg? Die Sozialdemokraten und der Nachrüstungsstreit (1977-1987)

De Gruyter Oldenbourg

Berlin, Boston 2016

ISBN 978-3-11-044930-3

Die Kontroverse um den NATO-Doppelbeschluss und die Nachrüstung erschütterte die westdeutsche Gesellschaft in den 1980er Jahren. Besonders schwer traf sie die Sozialdemokraten, die gespalten waren zwischen der Politik ihres Kanzlers Helmut Schmidt und der Friedensbewegung. Jan Hansen untersucht diesen Nachrüstungsstreit auf breiter Quellenbasis. Er zeigt, dass Teile der SPD den Kalten Krieg für anachronistisch hielten, lange bevor er tatsächlich an sein Ende kam. Auf den Prüfstand gelangte dabei nicht nur der ideologische Gegensatz zwischen den Supermächten, sondern auch der sozialdemokratische Politikbegriff. Der Konflikt veränderte die SPD und führte dazu, dass sich die Partei stärker als zuvor gesamtgesellschaftlichen Transformationen anpasste. [Inhaltsverzeichnis]

 

Busse/Enderle/Hohls, Clio Guide Laura Busse, Wilfried Enderle, Rüdiger Hohls, Gregor Horstkemper, Thomas Meyer, Jens Prellwitz und Annette Schuhmann (Hrsg.)

Clio Guide. Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften

Historisches Forum, Bd. 19 (Clio-online)

Berlin 2016

ISBN 978-3-86004-318-9

Im Online-Handbuch Clio-Guide geht es um etwas Einfaches und Elementares: Um die aktuelle Kartierung des Feldes der digitalen Fachinformation der Geschichtswissenschaft. Der Begriff der Fachinformation wird dabei bewusst breit verstanden, so dass auch institutionelle Infrastrukturen und digitale Werkzeuge mit darunter subsumiert werden. Unabhängig davon, wie man Fachinformation im Detail definiert, ist ihre Existenz ein Faktum, das professionelle HistorikerInnen zunächst einmal zur Kenntnis nehmen und vor allem kennen müssen. Zur Erlangung dieser Kenntnisse will die vorliegende Online-Publikation „Clio-Guide - Ein Handbuch zu digitalen Ressourcen für die Geschichtswissenschaften“ einen Beitrag leisten. Es verfolgt mithin primär ein praktisches Ziel: Eine bewusst positivistisch und faktenorientierte Einführung zum Stand der digitalen Fachinformation und eine Übersicht über die wichtigsten Hilfsmittel und Instrumente zu geben. Damit wendet es sich sowohl an Studierende und Lehrende, die sich die Grundlagen geschichtswissenschaftlicher Fachinformation erarbeiten bzw. diese vermitteln wollen, als auch an forschende Historiker, die eine Einführung in den Stand der Fachinformation in für sie neue Forschungsgebiete benötigen. [Inhaltsverzeichnis]

 

Vowinckel, Agenten der Bilder Annette Vowinckel

Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert

Wallstein Verlag

Göttingen 2016

ISBN 978-3-8353-1926-4

Fotografiegeschichte wird oft als Geschichte der Bilder geschrieben. Wer aber fotografiert unter welchen Bedingungen und für wen? Wer wählt Fotografien zur Publikation aus (und verwirft oder zensiert andere), und wer nutzt sie zu welchem Zweck? Annette Vowinckel beschreibt die an der Bildproduktion beteiligten Berufsgruppen der Fotojournalisten und Bildredakteure als »Agenten der Bilder«. Sie zeigt, wie im vergangenen Jahrhundert Fotografien im öffentlichen Raum als Argumente eingesetzt wurden, welche unterschiedlichen Verwendungen Fotografie in der freien Presse, in staatlichen Organisationen, in Armeen und im politischen Diskurs fanden. Dabei hinterfragt sie auch, welche Rolle ethische und editorische Entscheidungen spielten. Anhand konkreter Beispiele - wie etwa Fotografien von Politikern oder aus dem Vietnamkrieg - erläutert die Historikerin, wie sich deren Verwendung über Landes-, Sprach- und Systemgrenzen hinweg auf die Formation visueller Öffentlichkeiten im 20. Jahrhundert auswirkte. [Inhaltsverzeichnis]

 

Troebst/Wildt, Zwangsmigration im Europa der Moderne Stefan Troebst und Michael Wildt (Hrsg.)

Zwangsmigration im Europa der Moderne. Nationale Ursachen und transnationale Wirkungen

Leipziger Universitätsverlag

Leipzig 2016

ISBN 978-3-96023-016-8

[Inhaltsverzeichnis]

 

 

 

 

 

Eisenberg, The Rise of Market in England Christiane Eisenberg

(übersetzt von Deborah Cohen)

The Rise of Market Society in England, 1066-1800

Berghahn Books

Oxford 2016

ISBN 978-1-78533-217-3

Focusing on England, this study reconstructs the centuries-long process of commercialization that gave birth to the modern market society. It shows how certain types of markets (e.g. those for real estate, labor, capital, and culture) came into being, and how the social relations mediated by markets were formed. The book deals with the creation of institutions like the Bank of England, the Stock Exchange, and Lloyd's of London, as well as the way the English dealt with the uncertainty and the risks involved in market transactions. Christiane Eisenberg shows that the creation of a market society and modern capitalism in England occurred under circumstances that were utterly different from those on the European continent. In addition, she demonstrates that as a process, the commercialization of business, society, and culture in England did not lead directly to an industrial society, as has previously been suggested, but rather to a service economy. [Inhaltsverzeichnis]

 

Keil/Keuck/Hauswald, Vagueness in Psychiatry Geert Keil, Lara Keuck und Rico Hauswald (Hrsg.)

Vagueness in Psychiatry

Oxford University Press

Oxford 2016

ISBN 9780198722373

This book addresses the problem of indeterminacy in psychiatry and its social, moral and legal implications. It represents the first systematic effort to draw various lines of inquiry together, including the debates about the principles of psychiatric classification, categorical versus dimensional approaches, prodromal phases and sub-threshold disorders, and the problem of over-diagnosis in psychiatry.Vagueness in Psychiatry relates these debates to philosophical research on vagueness and demarcation problems, helping readers navigate through the various discussions surrounding the problem of blurred boundaries in the classification and diagnosis of mental illness.

 

Fabian, Boom in der Krise Sina Fabian

Boom in der Krise. Konsum, Tourismus, Autofahren in Westdeutschland und Großbritannien 1970-1990

Wallstein Verlag

Göttingen 2016

ISBN 978-3-8353-1920-2

Über das Verhältnis von Konsum und Individualität
Konsum, Tourismus, Autofahren - sind die 1970er Jahre mit diesen Schlagworten adäquat beschrieben, oder handelt es sich nicht vielmehr um ein Jahrzehnt der Krisen? Einerseits war der Alltag der westdeutschen und britischen Bevölkerung durch eine kontinuierliche Ausweitung der Konsummöglichkeiten geprägt. Andererseits kommen die Folgen des Ölschocks im Bild der leeren Autobahnen zum Ausdruck. Sina Fabian greift beide Erzählweisen auf und diskutiert die 1970er Jahre im Spannungsverhältnis von Krise und Boom. Sie untersucht den Einfluss von Ölpreis- und Wirtschaftskrisen auf den Tourismus und die PKW-Nutzung als zwei teuren Konsumgütern, die in beiden Ländern gerade während des Untersuchungszeitraums an Bedeutung gewannen. Ebenso fragt sie, inwieweit sich der steigende Konsum tatsächlich als Ausdruck fortschreitender Individualisierung begreifen lässt? Stellen Pauschalreisen und Fließbandprodukte die Individualisierungsthese nicht weit eher in Frage? Anhand unterschiedlicher Quellen, die von statistischen Erhebungen bis hin zu Tagebüchern und Reiseberichten aus der Bevölkerung reichen, relativiert die Autorin herkömmliche Lesarten der inzwischen vielfach historisierten 1970er Jahre. [Inhaltsverzeichnis]

 

Behrisch, Die Berechnung der Glückseligkeit Lars Behrisch

Die Berechnung der Glückseligkeit. Statistik und Politik in Deutschland und Frankreich im Späten Ancien Régime

Beihefte der Francia, Bd. 78 (Deutsches Historisches Institut Paris)

Thorbecke Verlag

Ostfildern 2016

ISBN 978-3-7995-7469-3

Wir leben in einem Zeitalter der Statistik – unsere Welt erschließt sich in Zahlen. Seit wann ist das so? Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begannen die Regierungen insbesondere der deutschen Territorien und Frankreichs, alle möglichen Bereiche des öffentlichen Lebens zu beziffern und zu berechnen, um nachhaltiger in die Entwicklung der Staaten eingreifen, ja die irdische »Glückseligkeit« ihrer Untertanen herbeiführen zu können. Zugleich begann Statistik die allgemeine Wahrnehmung zu verändern, indem sie den Blick immer mehr auf funktionale Zusammenhänge und materielle Effizienz richtete. Die Erforschung der Wurzeln statistischer Welterkenntnis trägt folglich auch dazu bei, die Wahrnehmungslogiken unserer modernen Welt besser zu verstehen und zu hinterfragen. [Inhaltsverzeichnis]

 

Flachowsky/Hachtmann/Schmaltz, Ressourcenmobilisierung Sören Flachowsky, Rüdiger Hachtmann und Florian Schmaltz (Hrsg.)

Ressourcenmobilisierung. Wissenschaftspolitik und Forschungspraxis im NS-Herrschaftssystem

Wallstein Verlag

Göttingen 2016

ISBN 978-3-8353-1877-9

Formen und Dimensionen der Mobilisierung und des Verfalls wissenschaftlicher Ressourcen im Nationalsozialismus
In welchen Dimensionen wurden zwischen 1933 und 1945 Ressourcen für die Forschung mobilisiert? Diese zentrale Frage des Verhältnisses von Wissenschaften und Politik im Nationalsozialismus wird für ein breites Spektrum an wissenschaftlichen Einzeldisziplinen thematisiert. Den zeitlichen Schwerpunkt bildet dabei der Zweite Weltkrieg. Konzeptionell wird eine Erweiterung und Differenzierung des Ressourcenbegriffs angestrebt.
Die räumliche Dimension der Ressourcenmobilisierung im europaweiten nationalsozialistischen Herrschaftsbereich markiert noch immer ein bedeutendes Desiderat der wissenschaftshistorischen Forschung. Im Fokus der Aufsätze steht der von Deutschland forcierte Transfer in die und aus den annektierten Ländern und besetzten Gebieten. Wie »effizient« waren Ressourcenaneignung und -raub im okkupierten bzw. verbündeten Europa für die NS-Diktatur? Welche Unterschiede lassen sich je nach europäischer Region ausmachen? Wie vernetzten sich dabei die gesellschaftlichen Teilsysteme Wissenschaft, Staat, Militär und Wirtschaft? [Inhaltsverzeichnis]

 

Sabrow, Erich Honecker Martin Sabrow

Erich Honecker. Das Leben davor 1912-1945

C.H. Beck

München 2016

ISBN 978-3-406-69809-5

Nichts verkörpert die DDR so sehr wie das maskenhafte Gesicht Erich Honeckers und dessen kommunistische Musterbiographie, die ihm der Parteiapparat maßschneiderte. Martin Sabrow zeigt auf der Grundlage zahlreicher unbekannter Quellen, welche überraschenden Brüche und Nebenwege das Leben des saarländischen Jungkommunisten prägten. Erich Honecker (1912 – 1994) war von frühester Kindheit an fest im kommunistischen Milieu des Saarlands verwurzelt, und doch war er als Teenager auch offen für neue Orientierung. Er fuhr nach Pommern, um Bauer zu werden, kehrte für eine Dachdeckerlehre in die Heimat zurück, studierte an der Parteihochschule in Moskau und ging 1933 in den Widerstand. Erstmals werden diese Stationen detailliert nachgezeichnet, und sie eröffnen überraschende Ausblicke, etwa auf Honeckers enges Verhältnis zu Herbert Wehner oder seine Beteiligung an einem Terroranschlag. 1935 musste der Jungfunktionär untertauchen. Was machte er monatelang in Paris? Wie kam es zu seinem konspirativen Einsatz in Berlin und wie zu seiner Verhaftung? Von Rätseln umrankt war bisher auch, wie es Honecker gelang, wenige Wochen vor Kriegsende zu fliehen und bald darauf unbehelligt ins Gefängnis zurückzukehren. Die bahnbrechende Jugendbiographie des Revolutionärs und Überlebenskünstlers endet im Mai 1945, als Honecker eher zufällig Zugang zu Ulbricht fand und der Kaderabteilung seinen kommunistischen Lebenslauf einreichte, über den fortan die Partei wachte.

 

Wiese, Pogrome im Zarenreich Stefan Wiese

Pogrome im Zarenreich. Dynamiken kollektiver Gewalt

Hamburger Edition

Hamburg 2016

ISBN 978-3-86854-304-9

Russland war das Land der Pogrome, so sah es zumindest die europäische Öffentlichkeit um 1900. Deshalb bürgerte sich auch in den meisten Sprachen das russische Wort »Pogrom« für diese Form von meist antijüdischer Gewalt ein. Aber was machte die Pogrome aus? Wer waren die Akteure? Geschahen sie spontan oder organisiert? Und warum war ihre Zahl gerade im Russischen Reich so hoch?
Antworten findet Stefan Wiese in den Handlungen aller Beteiligten, also der Täter, der Opfer, der Zuschauer und der Vertreter der Staatsmacht. Jede Gruppe verfügte über spezifische Ressourcen und verfolgte eigene Ziele, jede Gruppe beobachtete die übrigen und handelte dementsprechend. Aus dieser Dynamik ergaben sich Situationen, die Gewalt ermöglichten oder verhinderten. Laut Stefan Wiese waren bei Pogromen gegen Juden Strategien und Ressourcen der Akteure wichtiger als das Erbe des Antisemitismus, wie der Vergleich mit der Pogromgewalt gegen Armenier, Deutsche und die Intelligenzija bestätigt.
Stefan Wiese zeigt, was Pogrome sind, wie sie beginnen, vollzogen werden und wie sie enden. Er kontextualisiert die Pogrome neu, betont die Kontingenz von Raum und Gelegenheit und untersucht das Verhalten der staatlichen Organe. Mit seinem Buch über eine spezifische Form kollektiver Gewalt in den letzten Jahrzehnten des Russischen Reiches liegt eine analytische Phänomenologie des Pogroms vor. Die Untersuchung erweitert die Perspektive des Nachdenkens über Pogrome und Massengewalt, auch über das Zarenreich hinaus.

 

Orth, Der Amtssitz der Opposition Rainer Orth

"Der Amtssitz der Opposition"? Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933–1934

Böhlau Verlag

Wien, Köln, Weimar 2016

ISBN 978-3-412-50555-4

Bereits zehn Jahre vor dem gescheiterten Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944, im Sommer 1934, gab es einen Versuch von Kräften innerhalb des Regierungsapparates des Deutschen Reiches, das nationalsozialistische Regime gewaltsam zu stürzen. Ihr organisatorisches Zentrum hatten diese Pläne in der Dienststelle von Franz von Papen, dem konservativen Vizekanzler und gescheiterten „Beaufsichtiger“ Adolf Hitlers während der ersten eineinhalb Jahre seiner Regierungszeit.
Den Kern dieser Verschwörung, von der Papen selbst nichts wusste, bildeten der Münchener Schriftsteller Edgar Jung (Papens Redenschreiber), der Nachrichtendienstler Herbert von Bose (Papens Pressechef), Boses rechte Hand Wilhelm Freiherr von Ketteler, sowie der schlesische Gutsbesitzer Fritz Günther von Tschirschky (Papens Adjutant). Zusammen mit einigen Gleichgesinnten bauten diese das Ministerium Papens hinter dem Rücken ihres Chefs bis zum Frühjahr 1934 zu einer getarnten oppositionellen Zelle aus, die systematisch auf die Beseitigung der Regierung, deren hochgestellte Mitarbeiter sie offiziell waren, hinarbeitete.
Die vorliegende Studie rekonstruiert und erzählt die Geschichte der Reichsvizekanzlei als einer obersten Reichsbehörde, der Oppositionsgruppe, die von diesem Standort aus operierte, sowie des von dieser Oppositionsgruppe vorbereiteten Umsturzversuches, der schließlich – unmittelbar vor seiner Umsetzung – im Schatten der Mordwelle vom 30. Juni 1934 von der Gestapo auf blutige Weise vereitelt wurde.