Humboldt-Universität zu Berlin - Geschichte Osteuropas

Dr. des. Sarah Matuschak

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Name
Dr. des. Sarah Matuschak
Status
wiss. Mitarb.
E-Mail
sarah.caroline.matuschak (at) hu-berlin.de

Einrichtung
Humboldt-Universität → Präsidium → Philosophische Fakultät → Institut für Geschichtswissenschaften → Geschichte Osteuropas
Sitz
Friedrichstraße 191-193 , Raum 5004B
Telefon
(030) 2093 70645
Sprechzeiten
Mi, 14-15 Uhr und nach Vereinbarung
Postanschrift
Unter den Linden 6, 10099 Berlin

Akademische Ausbildung

 

seit 08/2023 

wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas, Humboldt-Universität zu Berlin

2023     

Promotion zum Dr. phil. mit der Dissertationsschrift „Die Geburt Russlands aus dem Geiste der Musik“, Humboldt-Universität zu Berlin

12/ 2018- 11/ 2022 

wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas, Humboldt-Universität zu Berlin

10/ 2015-09/2018 

wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt "Gegeißelte Musen? Komponieren unter Stalin" am Lehrstuhl für Geschichte Osteuropas, Humboldt-Universität zu Berlin

2012     

1. Staatsexamen, Lehramt, Amt des Studienrats (L4), Geschichte, Deutsch, Humboldt-Universität zu Berlin

2011     

Magister Artium, Geschichte, Philosophie, Germanistische Linguistik), Humboldt-Universität zu Berlin 

 

Forschungsprojekt  "Die Geburt Russlands aus dem Geiste der Musik"

 

Was ist Russland? Ein Teil Europas, wie die Westler behaupteten oder Teil eines slawischen Kulturraums, wie die Slawophilen überzeugt waren? Keine andere Frage trieb die russische Geistesgeschichte seit dem 19. Jahrhundert derart um, wie jene nach dem russischen Selbst -sie fand in der Sowjetunion eine neue Antwort und stellte sich nach ihrem Zerfall erneut. Meine Arbeit spürt der Selbst-Bewusst-Werdung Russlands nach. Sie befasst sich mit dem Finden und Wiederfinden eines Vielvölkerreichs aus der Perspektive der Musik.

Dass der Kampf der Tonkünstler um Anerkennung eines eigenen, unverwechselbaren Klangidioms ganz elementar eine ästhetische Suche nach einer musikalischen Selbst-Bewusst-Werdung war, die sich als russländische begriff, das Imperium als ganzes umfasste und weniger eine Suche nach einer „nur“ nationalen Musik war, ist die Kernthese meines Projekts.

Die Frage, die mich umtreibt, begann ursprünglich in der Sowjetunion und der Suche nach dem sowjetischen Menschen in der Musik. Beim Schreiben stellte ich jedoch fest, dass es sich vielmehr um ein Wiederfinden, denn ein originäres Suchen und Finden handelte. Und so erweiterte sich meine Arbeit zu einer Suche nach den Wurzeln eines Selbst-Bewusst-Werdungs-Prozesses, der im 18. Jahrhundert begann und bis ins 20. Jahrhundert reichte (und vielleicht in der Gegenwart erneut von Relevanz ist).

Gerade das Beispiel der Musik erscheint mir reizvoll, ist sie doch in ihrer direkten Emotionalität eine Sprache, die gleichsam an das Irrationale in uns appelliert. Ich folge den Spuren des vermeintlich Eigenen, tauche in die Folklore ein, in orthodoxe Kirchenmusik und erkunde Themen und Sujets der russischen Oper und Programmmusik des 19. Jahrhunderts.

Ihren Platz weg vom Katzentisch der Hochmusik erkämpften sich junge russische Laienkomponisten gegen den Willen einer Herrschaft, die ihren Anspruch auf Machtrepräsentation ausschließlich in europäischer Musik verwirklicht sah und mit ihr auch die Musiker an den Hof „importierte“. Und doch waren es die Mächtigen selbst, Musikliebhaber wie Nikolai I. oder Alexander III., die den russischen Dilettanten die Hintertür öffneten, ihrer schließlich zu Professionalisierung verhalfen und sie schließlich auf die große Bühne hoben.

Es entstanden Werke, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein musikalisches russländisches Selbst-Bewusstsein spiegelten, das den Orient als Teil davon in sich begriff, Folklore und Kirchenmusik mit ihm amalgamierte. Rubinstein, Serow, Balakirew, Mussorgski, Rimski-Korsakow, Tschaikowski – sie alle arbeiteten mit an der Selbst-Bewusst-Werdung des Imperiums, freilich stets aus der Perspektive des Zentrums. Im hitzigen Streit, meist gegen, seit dem späten 19. Jahrhundert mit der Macht. Denn dies ist das Projekt in seinem Fundament: eine Geschichte von Macht und Musik.

Der Erste Weltkrieg, die Revolution von 1917 und das Chaos des Bürgerkriegs führten zur Auflösung aller Gewissheiten. Was das Ich in dieser Welt war, wusste niemand mehr zu sagen. Mit Stalins Machtantritt kam es zu einer Wende, der Rückbesinnung auf traditionelle Werte, um die neue Ordnung zu stabilisieren. Hinter der Doktrin des Sozialistischen Realismus aber verbarg sich nichts anderes als die alte Mission einer Selbst-Bewusst-Werdung, die weniger ein neues, kommunistisches Ich schuf, als in der Vision des sowjetischen Menschen vielmehr eine Selbst-Vergewisserung des Alten, eine Wiederkehr russländischen Selbst-Bewusst-Seins war. Und die Musik schuf es, verknüpfte den russländischen mit dem sowjetischen Menschen, gab ihm Tradition und Verwurzelung wieder, erstmals jedoch von oben erzwungen. Komponisten wie Glière oder Weprik reisten nach Zentralasien und in den Kaukasus auf der Suche nach einem sowjetischen Klangidiom und verknüpften es mit der Musikkultur Westeuropas und der eigenen, russischen Tradition. Andere, wie Mjaskowski, Schaporin, Schebalin, Knipper oder Chrennikow nahmen die Rückbesinnung auf das russländische musikalische Selbst-Bewusst-Sein nicht minder produktiv auf und arbeiteten an seiner sowjetischen „Übersetzung“.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion schien sich die Geschichte zu wiederholen. Die Suche begann erneut. Das Finden aber ist ein erneutes Wiederfinden. Ein Wieder-Wieder-Finden. Diese Arbeit befasst sich mit der Selbst-Bewusst-Werdung Russlands, mit seinem Selbst-Bewusst-Sein und seiner Selbst-Vergewisserung. Aus dem Geiste der Musik.

 

Publikationen

Rezensionen

Nathan Seinen: Prokofiev’s Soviet Operas,“ in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 69 (2021), H. 2, S. 342-344.

“In Apollo’s Sphere: Stalin and the Arts. Review Essay”: Joan Neuberger: „This Thing of Darkness: Eisenstein’s Ivan the Terrible in Stalin’s Russia (Ithaca, NY (u.a.): Cornell University Press, 2019). Jonathan Brooks Platt: Greetings, Pushkin! Stalinist Cultural Politics and the Russian National Bard (Pittsburg, PA: University of Pittsburgh Press, 2016). Marina Frolova-Walker: Stalin’s Music Prize. Soviet Culture and Politics (New Haven, CT: Yale University Press, 2016)”, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 22 (2021), H. 1, S. 183-193.

Daniil Granin, Ales Adamowitsch: Blockadebuch. Leningrad 1941-1944 (Berlin: Aufbau, 2018)“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 68 (2020), H. 3, S. 271-273.

Michel Abeßer: Den Jazz sowjetisch machen. Kulturelle Leitbilder, Musikmarkt und Distinktion zwischen 1953 und 1970 (Köln (u.a.): Böhlau, 2018)“, in: H-Soz-Kult (03.06.2020). https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28100

Helmut Altrichter: Stalin. Der Herr des Terrors (München: C. H. Beck, 2018)“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 67 (2019), H. 2, S. 174-176.

„Über sowjetische Musik schreiben: Neues aus der Forschung. Sammelrezension”: Pauline Fairclough: Classics for the Masses: Shaping Soviet Musical Identity, 1917-1953 (New Haven, CT, London: Yale University Press, 2016). Kiril Tomoff: Virtuosi Abroad: Soviet Music and Imperial Competition During the Early Cold War, 1945-1958 (Ithaca, NY (u.a.): Cornell University Press, 2015). Boris Belge: Klingende Sowjetmoderne: Eine Musik- und Gesellschaftsgeschichte des Spätsozialismus (Köln (u.a.): Böhlau 2018)“, in: H-Soz-Kult (23.01.2019). https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24880?language=de

 

Aufsatz

Matuschak, Sarah: „Isterzannaja muza? Sočinenie muzyki pri Staline (1932-1953)“, in: Stephan Malerius, Sona Ogannisjan (Hg.), Tvorit‘ vopreki ideologii: isterzannaja muza? (Erevan: Asoghik, 2022), S. 107-135.

 

Radio

Mitarbeit am „Kalenderblatt“ im Deutschlandfunk zur Uraufführung der Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" von Sergej Prokofjew, (Leitung Stefan Zednik), 30.12.2021

https://www.deutschlandfunk.de/100-jahre-liebe-zu-den-orangen-100.html

Mitarbeit am „Kalenderblatt“ im Deutschlandfunk zur Uraufführung der Sinfonie Nr. 13 in b-Moll (op. 113) „Babi Jar“ von Dmitri Schostakowitsch (Leitung Stefan Zednik), 18.12.2022

https://www.deutschlandfunk.de/schstakowitschen-babi-jar-babi-jar-100.html

 

Mitarbeit an der "Langen Nacht" im Deutschlandfunk: "Hexen, Huren und alte Weiber - Altistinnen und ihre Opernrollen" (Leitung: Stefan Zednik), 25.02.2023

https://www.deutschlandfunkkultur.de/lange-nacht-ueber-das-stimmfach-alt-dlf-kultur-70b30d61-100.html

 

Lehrveranstaltungen

SS 2016_Übung: Das Imperium am Scheideweg - Russlands Fin de Siècle

SS 2017_Übung: Von Künstlern und Mächtigen. Eine Kulturgeschichte des Stalinismus

WS 2017/18_Bachelorseminar: Adel in Russland (zusammen mit Prof. Dr. Jörg Baberowski)

SS 2019_Proseminar: Einführung in die russische Geschichte

SS 2019_Übung: Quellenlektüre zur Ästhetik der Bolschewiki

WS 2019/20_Proseminar: Russische Geistesgeschichte

SS 2020_Übung: Eintrittskarte zum Paradies: Der Sozialistische Realismus

WS 2020/21_Übung: Zwischen Gesamtstaatsidee und Nationalismus: Russland als Imperium, 1689-1917

WS 2020/21_Einführungskurs: Nation und Vielvölkerreich: Russland und die Sowjetunion

SS 2021_Übung mit Exkursion: Von Charlottengrad ins Café Moskau: Auf russischen Spuren in Berlin und Potsdam

WS 2021/22_Übung: Von der Suche nach dem Wir zur Entdeckung des Ichs: Russische Religionsphilosophie in Dokumenten

WS 2021/22_Bachelorseminar: Stalin und der Stalinismus

SS 2022_ Übung: Der Tag zieht den Jahrhundertweg. Russische Gesellschaft im Spiegel der Literatur

SS 2022_Bachelorseminar: Träume von Mais und Plattenbau: "Hurricane Nikita", der polternde Reformer: Chruschtschow im Kreml

WS 2023/24_Einführungskurs: Klio in Eurasien: Russland als Imperium

WS 2023/24_Übung: Der entfesselte Prometheus: Die Geburt Russlands aus dem Geiste der Kritik

SS 2024_Bachelorseminar: Lehrjahre eines Imperiums: Russland in der Frühen Neuzeit

SS 2024_Übung: Seismographen des Untergangs: Das Fin de Siècle in der Literatur